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Die größte Schwäche der Schreibmaschine war schon immer ihre einheitliche Buchstabenbreite. Die Zeichen W und i litten am meisten darunter: ersteres wurde auf engem Raum zusammengepresst, das i bekam einen breiten Fuß und am Kopf eine Halbserife – dies alles ist bei der Schrift Courier sehr gut zu besichtigen.
Lange Zeit waren Serifenschriften das bevorzugte Modell für das Entwerfen von Schreibmaschinentypen. Die Endstriche dienten den Designer als Spielball, um schmale Buchstaben breit zu machen und breite Lettern zu verschmälern.

Ganzseitige Anzeige für die Kugelkopfschreibmaschiene IBM Selectric aus dem Jahre 1962 (Archiv/Scan: Fontblog)

Im Herbst 1958 wagte sich der IBM-Ingenieur Roger Roberson an ein Experiment, dem seine Kollegen keine großen Chancen einräumten. Tag und Nacht zeichnete Roberson an einem Alphabet für IBM-Schreibmaschinen mit gleichen Buchstabenbreiten, die allesamt ohne Füßchen auf ihrer gedachten Schriftlinie standen. Dies waren die Geburtswochen der Schrift Letter Gothic.
Die IBM Selectric machte Letter Gothic weltberühmt. Das Modell überzeugte mit einem gänzlich neuen Konstruktionsprinzip: statt Typenhebel brachte eine drehende Kugel die Buchstaben zu Papier. Die Kugelkopfschreibmaschine war ein mechanisches Meisterwerk und äußerst komplex konstruiert. IBM hielt über mehrere Jahre ein Patent für diese Technologie und eroberte damit fast im Alleingang die Büros. Durch den austauschbaren Kugelkopf (engl: golf ball) konnten die Benutzer erstmals mit unterschiedlichen Schriftgrößen und Schriftarten schreiben.
Letter Gothic ist eine Mono-spaced-Schrift, auch »fixed-pitch« oder »nicht proportional« genannt. Dies bedeutet, dass der Raum (genauer: die Summe aus Vor-, Zeichen- und Nachbreite) für alle Buchstaben gleich groß ist. Pitch als Maßeinheit bezeichnet die Anzahl der Buchstaben pro Zoll (auf der Waagerechten). Ein Kugelkopf mit der Kennzeichnung 12 (Pitch) enthielt also eine Schrift, die geschrieben 12 Zeichen pro Zoll ergab.
Die Höhe der Buchstaben wird in Punkt gemessen. Beim Schreiben am Computer lassen sich sowohl die Punktgröße als auch der/die/das Pitch verändern. Dabei verhalten sich Punkt und Pitch umgekehrt proportional. Wenn eine 12 Punkt große Schrift 10 Pitch entspricht, dann wird sie 5 Pitch bei 24 Punkt und 20 Pitch bei 6 Punkt.

IBM-Kugelkopf (golf ball) mit Letter Gothic 12 Pitch und 96 Zeichen (Foto: Fontblog)

Als Ende der 1980er Jahre das Desktop Publishing (DTP) geboren wurde, war die Schreibmaschine in der Bürokommunikation bereits auf dem Rückzug. Briefe und Faxe wurden mit einer Textverarbeitung am PC verfasst und auf einem Nadeldrucker ausgegeben. Dann kamen Laserdrucker und die Auswahl der Schriften wuchs ins Unermessliche. Gleichwohl überlebten einige Schreibmaschinen-Klassiker, denn auch im Computerzeitalter sollten maschinen-geschriebene Briefe wie Briefe aussehen und nicht wie eine Zeitungsspalte, gesetzt in Times. Die Courier gehörte von Anfang an zur Ausstattung der Laserdrucker. Im Sommer 1989 kam auch die populäre Letter Gothic im PostScript-Format heraus.
Zu Beginn der neunziger Jahr waren viele Grafikdesigner der perfekten Schriftformen überdrüssig und gingen auf die Suche nach Archetypen des frühen Computerzeitalters. Die Deutsche Industrieschrift DIN wurde wegen ihrer schlichten geometrischen Formen geliebt. Letter Gothic von Bitstream oder Adobe überzeugten durch die straffe Rhythmik des Monospacing.
Jede Menge Schriftentwerfer gingen auf die Bedürfnisse der Anwender ein und kultivierten »behinderte Typen« wie FF Trixie, FF Confidential, FF Dynamoe, FF Blur und FF Magda. Die Deformation der Buchstabenformen als Konsequenz unfähiger Mechanik wurde mit digitaler Technik nachgeahmt und verstärkt.

Letter Gothic (oben) und FF Letter Gothic Text, die proportionale, platzsparende Alternative

Um 1995 beschloss FSI FontShop International, einige »Non-Design-Schrift-Stars zu adoptieren«. Nach sorgfältiger Überarbeitung standen sie plötzlich wieder im Rampenlicht, als FF DIN und als FF OCR F (beide überarbeitet von Albert-Jan Pool). 1996 folgte FF Letter Gothic Text.
Die Ausstattung des Originals aus den 60er bzw. 80er Jahren entsprach nicht den Erwartungen an eine moderne Schrift: es gab nur zwei Strichstärken und es fehlten Akzente und Sonderzeichen. FSI beauftragte den italienischen Schriftentwerfer Albert Pinggera, die Letter Gothic soweit anzupassen und zu überarbeiten, dass sie den Anforderungen des Desktop Publishing genüge.