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»Lern erst mal was Richtiges …« Mit diesen Worten beendet der Vater den Streit mit seinem 16-jährigen Sohn Max, der so gerne Maler werden möchte. Stattdessen tritt Miedinger Junior im Herbst 1926 eine Lehre zum Schriftsetzer bei der Zürcher Buchdruckerei Jacques Bollmann an. Vier Jahre später ist er sich sicher: »Ich will gestalten und nicht bis zum Lebensende Kolumnen auf Satzschiffen zusammenfummeln«.
Die Abendkurse bei Johann Kohlmann an der Kunstgewerbeschule Zürich bestätigen sein Interesse. 1936 endlich kann Max Miedinger sein Talent beruflich nutzen: als Typograf im Werbeatelier der Kaufhauskette Globus. Im Laufe der folgenden 10 Jahre erstellt er hier Plakate, Zeitungsanzeigen, die Hausbeschriftung und interne Drucksachen.

Das kürzeste Pop-Märchen der Welt, 1966 gesetzt in Helvetica Black (Idee: Experimental Jetset, Grafik: FontShop)

Nach dem Ende des 2. Weltkriegs verlässt Miedinger das hektische Zürich und bewirbt sich als Verkäufer bei der Haas’schen Schriftgießerei in Münchenstein nahe Basel. Dem Direktor Eduard Hoffmann imponiert die Vielseitigkeit Miedingers. Als der ihm sein Notizbuch mit Schriftentwürfen zeigt, weiht ihn Hoffmann in sein »Geheimprojekt« ein, mit dem die Gießerei Haas zu neuem wirtschaftlichen Erfolg kommen soll.
Der Konkurrent H. Berthold ist nämlich drauf und dran, den Schweizern mit der erfolgreichen Akzidenz Grotesk die Kunden abzuwerben. Sogar die einheimischen Designer greifen zu dem Bestseller aus Berlin, mitten in der Blüte der Schweizer Typografie. Dieser Entwicklung will Hoffmann mit einer neuen Sans-Serif beenden, die Miedinger zeichnen soll. Als Blaupause dient ihnen eine lineare Serifenlose der Leipziger Gießerei Schelter & Giesecke aus dem Jahr 1880, die Scheltersche Grotesk.
Nach wenigen Monaten liegen die ersten Probeabzüge der Neue Haas Grotesk auf Hoffmanns Schreibtisch. Er ist begeistert. Im Sommer 1957 feiert die Neue Haas Grotesk Premiere.
Zwei Jahre später schwappt die Schweizer Typographie nach Deutschland über. In der Frankfurter Hedderichstraße macht sich die D. Stempel AG, seit 1954 Mehrheitseigner der Haas’schen Schriftgießerei, intensiv Gedanken darüber, wie man auf diesen Zug aufspringen kann. Im Juni 1959 schlägt das Vertriebs-Ass Heinz Eul die Aufnahme der Neue Haas Grotesk ins Stempel-Programm vor, ganz gezielt für die »Werbemittelgestalter«, als Wunderwaffe gegen Futura und Akzidenz Grotesk.
Allein den Namen findet er wenig attraktiv. Sie muss umgetauft werden, und zwar so, dass Zweck und geografische Herkunft unmittelbar verständlich werden. Nach einer langen, unruhigen Nacht legt Eul seinem Chef Erich Schultz-Anker morgens einen Brief mit der Namensidee »Helvetia« ins Postfach. Der machte, nach kurzer Rücksprache mit Eul, »Helvetica« daraus und brachte sie Anfang 1961 auf den Markt … nach Meinung Euls »unerträglich spät«, aber nicht zu spät.

Mit diesem Brief bekam Helvetica 1959 ihren Namen. Das Originaldokument ist im Besitz von Erik Spiekermann (Scan: Erik Spiekermann)

Die Schrift mit dem einprägsamen Namen tritt in den 60er Jahren einen unvergleichlichen internationalen Triumphzug an. Das Original und eine Unmenge von Nachahmern werden durch ihr Omnipräsenz in den Augen mancher Kritiker zu einer Art »typografischen Landplage«. Legionen von Corporate Designs basieren auf der Helvetica als Hausschrift, unter anderem bei Lufthansa, Bayer, Hoechst, Deutsche Bahn, BASF und BMW. Das liegt nicht an der Einfallslosigkeit der Designer, sondern daran, dass die Helvetica auf Grund ihrer Verbreitung immer und überall verfügbar war … in Zeiten des Bleisatzes ein wichtiges Kriterium.

Titelseite der Helvetica-Einführungsbroschüre von D. Stempel (Abb: FontShop)

1983 entwirft D. Stempel für den Satzmaschinenhersteller Linotype eine Neue Helvetica. Dabei werden die historisch gewachsenen und nicht immer zueinander passenden Schnitte harmonisiert. Nur 2 Jahre später übernimmt Linotype die Stempel AG und beschließt deren Auflösung. In den darauf folgenden Jahren wächst die Neue Helvetica auf 51 Schnitte und setzt die Erfolgsgeschichte der Vorgängerin fort.
Als Linotype gemeinsam mit Apple und Adobe im Jahre 1985 die technische Basis fürs Desktop Publishing (DTP) definieren, spielt die gute alte Helvetica wieder eine Hauptrolle. Vier Schnitte der Familie gehören zu den ersten 11 Einbauschriften im Apple-Laserdrucker und bilden die typografische Erstausstattung für das Gestalten am Computer.
Bei aller Kritik sind sich die Schriftexperten einig: Helvetica verkörperte das Ideal der Sachlichkeit, das damals von der Schweizer Grafik propagiert wurde. Diese Eigenschaft machte die Schrift ohne Eigenschaften zu einer Ikone des modernen Designs.